Ein Spiel zu jeder Jahreszeit

von Johann Skocek

 

Hana, dul, sed ...: Fußball öffnet das Herz, und wenn man auch noch gewinnt, wie die nordkoreanische Frauennationalmannschaft, öffnet sich eine neue Welt und die bleibt den SpielerInnen, auch wenn der Jubel längst verklungen ist.

Am Ende wird Ri Hyang Ok, die Schönste von ihnen, gefragt, was das Schöne am Fußball sei. Ri hat im nordkoreanischen Frauennationalteam im Mittelfeld gespielt. »Ich war das Rückgrat«, beschreibt sie ihre Rolle. Seit dem letzten Auftritt sind einige Jahre vergangen, nach der Niederlage gegen Japan in der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2004 in Athen hat Ris Fußballerkarriere ein abruptes Ende genommen. Danach hat sie geheiratet und »einen Platz im Leben« gefunden. Ri stockt. Auf der Panoramascheibe hinter ihr liegen Pjöngjangs graue, verregnete Straßen. Stunden um Stunden hat sie von der Zeit in der Nationalmannschaft erzählt und wie es war, mit den Freundinnen schwere und schöne Zeiten zu teilen. Jetzt sehen sie einander nur mehr selten, aber jedes Mal ist es, als ob sie erst gestern gemeinsam trainiert hätten.

Der Film Hana, dul, sed … (zu Deutsch: »Eins, zwei drei ...«) erzählt zwei Abschnitte aus der Lebensgeschichte von vier Nordkoreanerinnen, den »Pionierinnen« der Nationalmannschaft. Die Regisseurin und Produzentin Brigitte Weich brauchte mehr als vier Jahre, um mit der Herstellung des Films überhaupt beginnen zu können. Weich besuchte 2002 das Filmfestival von Pjöngjang, auf dem zwei Fußballfilme liefen: Frankreich, wir kommen! von Michael Glawogger und The Game of their Lives, ein Streifen über das berühmte nordkoreanische Team, das bei der WM 1966 in England die Italiener (mit Facchetti!) aus dem Turnier bugsierte. Irgendwer erzählte ihr, Nordkoreas Frauenteam sei superb. Zur Neugier über das geheimnisvolle Reich des Bösen, Nordkorea, gesellte sich die Faszination über eine Gruppe von Frauen, die in einer versteinerten, patriarchalisch-totalitären Gesellschaft  einer gemeinhin Männern vorbehaltenen Tätigkeit nachgehen. Und auch noch mit überragendem Erfolg!

In Nordkorea können Ausländer nicht arbeiten, sie können sich nicht einmal im Land bewegen. Weich gewann die staatliche Filmagentur Korfilm als Partner und mehr als vier Jahre nach dem ersten Ansuchen durfte sie in Nordkorea ein Fußballspiel besuchen. Das Interesse des Regimes an der Projektion des Selbstbildnisses nach außen ebnete Weich und ihrer Kamerafrau Judith Benedikt die Wege nach innen.

Wer dem Team folgt, das die Großartigkeit Nordkoreas personifiziert sowie die Großherzigkeit und Weisheit seines großen Generals Kim Il-sung beweist, fährt über achtspurige Prachtboulevards, auf denen sich zwei Autos bewegen. Plakate beschwören die immerwährende Wachsamkeit im Kampf gegen den Erzfeind USA und die Rolle der Frau, der »Blume« Nordkoreas, »die sich um die Familie sorgt«. »Wie der Faden der Nadel folgt, so folgt die Frau dem Mann«, sagt der Ehemann einer ehemaligen Nationalspielerin. Sie haben sich durch eine Vermittlungsagentur kennen gelernt und nach der Hochzeit wird sie, der ehemalige Star, sich der Familie widmen.

 

Ra Mi Ae war Verteidigerin und ihre Familie war dagegen, dass sie Fußballerin wird. In Nordkorea konnten vor zehn Jahren Mädchen nicht in kurzen Hosen herumlaufen, öffentlich schwitzen, spucken und herumschreien. Doch der große General sah die Propagandachance und von einem Tag auf den anderen standen dem Team perfekte Trainingsmöglichkeiten, Zusatzrationen an Nahrung und Bewilligungen für Turnierreisen im Ausland zur Verfügung. Wenige Jahre später besiegte Nordkorea den »Erzfeind« China im Finale der Asienmeisterschaft. Die Mannschaft entwickelte sich von einer Angelegenheit, die man aus Pflichtgefühl dem großen Führer gegenüber unterstützt hatte, zu einem Herzensanliegen der Nordkoreaner.

Wie Ameisen krabbeln die Genossen um das titanische Standbild des großen Generals, dessen rechter Arm seherisch in die Ferne weist. »Große Ideologie erschafft große Zeiten«. Der Satz des großen Vaters Kim Jong-il dient dem Film als Motto. Falls Fußball als Ideologie gelten kann, so schuf er große Zeiten, für die Spielerinnen, ihr Land und ihren Führer, dem sie »nah sein« und »gefallen« wollten. Der Steinzeit-Kommunismus diktatorischer Prägung ist überall in der Welt gescheitert. Individuelle Entwicklung nach westlichem Muster ist nicht, doch die strebsamen, individuell durchsetzungsfähigen Fußballerinnen sind der Gegenbeweis, obwohl sie die Hoffnung auf Zuneigung und Anerkennung durch den Führer ununterbrochen im Mund führen.

Manche totalitären Regimes wie der Mullah-Staat Iran unterdrücken den Fußball, weil sie seinen emanzipatorischen Sog und die areligiöse Vermassung fürchten. Andere Systeme wie die DDR, Nordkorea oder deren Gegenentwürfe von den USA bis Südafrika fördern ihn als Vehikel der nationalen Propaganda. Die Parallelwelt funktioniert für sich und unabhängig von Zeit und Raum und Umwelt nach eigenen Parametern, und doch lenkt er, wie eine Lupe, den Blick auf das Innenleben der Gesellschaft. Der Fußball ist die dramaturgisch ergiebigste Sport-Inszenierung, er räumt dem Einzelnen gestalterische Freiheit ein und bindet ihn doch in eine Gruppe, er belohnt Härte und Spontaneität gleichermaßen und er lädt in seinem »Haus der Hysterie« Emotionen auf, die er sogleich entsorgt oder, wie in Nordkorea, zur höheren Ehre des Systems über die Alltagsschwelle trägt.

»Man wird nicht als Frau geboren, man wird es«, schrieb Simone de Beauvoir. Das gilt wohl auch für Fußballerinnen. Nach dem Ende ihrer Karriere gehen sie weiter auf dem vorgeschriebenen Weg der Frau und Genossin, der mit staatlich organisierter Indoktrination und Zärtlichkeit im Kindergarten begann und als Blume des Volkes endet. Ri machte auch Karriere als internationale Schiedsrichterin.

Fußball wird im Unterschied zu allen anderen Sportarten auf einem großen Feld gespielt, sagt Ri Hyang Ok. »Wenn man also dieses Feld betritt, dann ist es, als ob das Herz weit wird und als ob man in jede Welt eintreten könnte. Wenn man mit diesem Gefühl läuft, als ob einem die ganze Welt gehören würde, dann öffnet sich das Herz. Und wenn man dann noch gegen das andere Team gewinnt – wie das ist, können Worte nicht beschreiben.«

 

aus Stadtkino Zeitung Nr. 491, © Stadtkino